Wir ändern den Kurs | OWL.zirkulär.zukunftsfähig – auf dem Weg zur Modellregion

Bielefeld/Ostwestfalen-Lippe.
War es die Klimakrise, die jetzt die rund 140 Gäste im Historischen Saal der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld ins Schwitzen brachte? Oder waren es die geballten Anregungen, Impulse, Fakten und Kritikpunkte von Umweltwissenschaftler Professor Dr. Michael Braungart und weiteren Experten? Vor Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen, Kommunen, Verbänden und Institutionen sprachen sie aus unterschiedlichen Perspektiven über zirkuläre Wertschöpfung. Damit waren sie der Einladung des Unternehmens ZF in Kooperation mit der Stadt Bielefeld, dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und der Initiative CirQuality OWL mit VDI OWL und InnoZent OWL gefolgt. Viele haben bereits den Kurs geändert in der Wirtschaftsregion OWL – etliche gelungene Ansätze warben für eine Circular Economy.

Klimakrise, Rohstoffmangel und Umweltverschmutzung seien lösbar durch Qualität statt Quantität, die lebenslange Nutzung recycelbarer Materialien, ineinandergreifende Kreisläufe zur Wiederverwertung aller Wertstoffe und Produktteile, erklärte Prof. Michael Braungart, der Erfinder des Ansatzes Cradle to Cradle (englisch für „Von der Wiege zur Wiege“). Leider seien Nachhaltigkeit, Klimaneutralität, Fußabdruckminimierung oft nur leere Schlagworte. Die Zielsetzung müsse lauten: Nützliches tun für Mensch, Flora und Fauna. Erstrebenswert sei nicht ein neutraler, sondern ein positiver Fußabdruck.

So könne man beispielsweise Gebäude bauen, deren Oberflächen Feinstaub binden, wie das begrünte Rathaus Venlo. „In einer Stadt wie Bielefeld verliert jeder Mensch rund 4,5 Lebensjahre durch Feinstäube“, so seine Aussage, „weniger schlecht ist nicht gleich gut“. Design und Qualität könnten so verbessert werden, dass positive, nachhaltigkeitsbezogene Wirkungen eines Produkts und damit verknüpfter Geschäftsaktivitäten entstünden, sowohl für die Gesellschaft als auch für die Umwelt.

In dieser Hinsicht gehört die ZF Friedrichshafen AG, Hauptsponsor der Veranstaltung, zu den Vorreitern in der Region. Bereits 1963 begann im Werk Bielefeld die Aufarbeitung von Lkw-Kupplungsdruckplatten und Kupplungsscheiben. Längst werde in der gesamten Unternehmensgruppe serienmäßig und wirtschaftlich eine funktionierende Kreislaufwirtschaft betrieben, so Veranstaltungsinitiator Jörg Witthöft, Leiter des Standorts Bielefeld der ZF. „Das Werk Bielefeld verarbeitet jährlich rund 10.000 Tonnen Altteile“, so Witthöft, „das entspricht ungefähr dem Gewicht des Eifelturms.“ Das Ende der 1990er Jahre entwickelte Cradle to Cradle-Prinzip werde bei ZF als Innovationstreiber, als Teil der Unternehmenskultur gesehen. Ein Großteil der Produkte – darunter auch ein erstes mit elektronischen Bauteilen – sei heute Cradle to Cradle zertifiziert.

„Nicht nur reden, sondern einfach machen“

Die Zirkuläre Wertschöpfung rechnet sich bei ZF ökologisch wie betriebswirtschaftlich. Das zeigt das Beispiel Kupplungs-Druckplatten: Eine 98prozentige Aufarbeitungsquote sorge im Vergleich zur Neuproduktion für 70 bis 90 Prozent Materialeinsparung, rund 90 Prozent Energieeinsparung und rund 80 Prozent CO2-Einsparungen, erklärte Witthöft. Seine Empfehlung an Unternehmen: „In punkto Kreislaufwirtschaft nicht nur reden, sondern einfach machen, umsetzen.“

Ebenfalls beispielhaft in ihrer Branche nimmt sich die Werner & Mertz Group aus, die statt auf CO2-Kompensierung schon seit vielen Jahren auf die Reduzierung und Vermeidung von Abfällen und Emissionen setzt. „Nachhaltigkeit von Anfang an“, so das Motto von Alexander Nagel, der als Anwendungstechniker bei Tana-Chemie Unternehmen in punkto Hygiene und Reinigung berät und wie sie ihre Umweltbilanz durch den Einsatz Cradle to Cradle zertifizierter Produkte verbessern können. Die Werner & Mertz Group hat sowohl eine professionelle Sparte für gewerbliche und kommunale Abnehmer (Tana-Chemie) als auch eine Sparte für Endverbraucher (Frosch-Produkte). Alle Produkte in beiden Sparten sind Cradle to Cradle zertifiziert.

Nagel stellte den Wertschöpfungsansatz hinter der Tana-Produktlinie vor. Diese besteht aus nachwachsenden Rohstoffen (pflanzlichen Tensiden) und firmeneigenem Brunnenwasser, abgefüllt in Flaschen aus Recycling-Kunststoff. Die Produktion erfolge auf der Basis erneuerbarer Energien. „Bäumchen pflanzen und CO2-Zertifikate bringen keine grundsätzlichen Veränderungen, man belügt die Verbraucher, die Politik und sich selbst, so unsere anfänglichen Überlegungen“, berichtete Nagel, „zunächst waren Investitionen notwendig, seither sparen wir Rohstoffe und Kosten. Heute sind alle Produkte auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und inzwischen werden wir nachgeahmt“. Insgesamt würden allein bei den Behältern gegenüber einer herkömmlichen Produktion an die 2.800.000 Kilogramm CO2, rund 880.000 Kilogramm Rohöl und 396.000 Kilogramm Kunststoff eingespart.
Diese Kriterien des „Vermeidens und Reduzierens“ waren ausschlaggebend für die Reinigungsmittelwahl der Stadt Bielefeld. Seit Jahren werden alle städtischen Gebäude und Einrichtungen mit den Tana-Produkten gereinigt. Die Stadt Bielefeld punktet zudem mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, mit dem Ökoprofit-Förderprogramm für Unternehmen zur Ressourcenreduzierung und Abfallvermeidung oder dem Beratungsleitfaden „Gewerbe und Bauen“ mit Cradle to Cradle-Ansatz (seit 2013). Oberbürgermeister Pit Clausen sah weitere Ansätze: „Als Stadt sind wir gefordert, dem Gedanken noch mehr Rechnung zu tragen, wie über das Baurecht. Wir haben zum Beispiel beschlossen, keinen eingeschossigen Einzelhandel mehr zuzulassen, sondern auf Mehrgeschossigkeit und weitere Nachhaltigkeitskriterien im Bau zu setzen.“

Moderatorin Friederike David, Geschäftsstellenleiterin des VDI OWL, begrüßte auch VDI-Direktor Ralf Appel und betonte: „In Bielefeld und OWL haben bereits viele Verantwortliche, Geschäftsführungs- und Vorstandsmitglieder sowie Führungskräfte, den Kurs geändert, auch dank der von Ingenieurinnen und Ingenieuren erarbeiteten Lösungen.“ Vor dem Hintergrund der Klimakrise hätten sie zirkuläres Wirtschaften als Qualitäts- und Innovationstreiber erkannt, der in dreifacher Hinsicht profitabel sei: wirtschaftlich, sozial und ökologisch.

Weitere Botschafter für Zirkuläre Wertschöpfung gab es im Historischen Saal an den mehr als einem Dutzend begleitenden Ausstellungsständen. Darunter waren auch die Bielefelder Vogel GmbH für Papierverarbeitung und -veredelung mit ihrer Produktion umweltfreundlicher Lebensmittelverpackungen; die IP Adelt GmbH, Bielefeld mit nachhaltigen Werbe- und Präsentationsmitteln wie Produktordnern; der Bielefelder Fachgroßhändler Julius Brune GmbH & Co. KG, spezialisiert auf nachhaltige Hygiene- und Reinigungsprodukte; die ReUse and Trade GmbH, die eine gewerbliche Materialbörse von Paderborn aus betreibt; die von Scientists for Future ab 2023 geplante mobiel-Klimabahn mit Informationen und Handlungsanregungen; recyclingfähige Wineo-Bio-Fußböden aus nachhaltigen Rohstoffen, produziert in Lippe; das Projekt Re-Build-OWL für zirkuläres Bauen (Lippe Zirkulär) sowie die VDI Kampagne sail.Ing OWL auf Kurs 1,5 Grad.

Biologische und technologische Kreisläufe ergänzen sich

Professor Braungart regte zudem Geschäftsmodelle an, die anstelle von Maschinen und Produkten Nutzungen und Dienstleistungen mit genau definierten Nutzungszeiten verkauften – wie 3000mal Wäsche waschen, 15 Jahre Küchen- oder Fußbodenbenutzung, Verlängerungsoption bei Bedarf. Auf diese Weise hätten die Hersteller eine Rückgabegarantie, könnten in punkto Materialbeschaffung langfristig planen und die separierten Wertstoffe nach Rücklieferung immer wieder einsetzen. Dafür sei eine umfassende Digitalisierung Voraussetzung. Warum nicht Fenster zu Fenstern oder Autos zu Autos recyceln, so seine rhetorische Frage. Von der Wiege in die Wiege: Biologische Nährstoffe zirkulieren in biologischen Kreisläufen, technische Wertstoffe in technischen Kreislaufen.

Sensibilisieren, unterstützen und vernetzen, Zirkuläre Wertschöpfung in der Wirtschaftsregion OWL weiterverbreiten, das war Sinn und Zweck der Gemeinschaftsveranstaltung in der Ravensberger Spinnerei. Die rund 140 Gäste tauschten sich aus, nahmen viele Anregungen und neue Kontakte mit. Und die motivierenden Worte Professor Braungarts: „Ein Produkt, das Abfall wird, hat einen Qualitätsmangel. Wir brauchen Innovationen, Qualität und Schönheit als Basis. Wir brauchen Dinge für Wirtschaft und Gesellschaft, die Mensch und Umwelt guttun.“ OWL ist auf einem guten Weg, zirkulär und zukunftsfähig – vielleicht sogar zur Modellregion für eine Circular Economy, mit einer Wertschöpfung aus stetigen Kreisläufen…

Text: Martina Bauer, freie Journalistin